Chaos im Chaos

Laut, bunt und chaotisch – mit diesen drei Begriffen lassen sich die nepalesischen Straßen wohl am treffendsten beschreiben. Wobei Worte nur ansatzweise das widergeben, was sich hier abspielt – man muss es live erleben. Aber nicht nur der Verkehr selbst, auch die umfangreichen, mehr oder weniger provisorischen Straßenbauarbeiten sind eine Show!

So wird mal hier ein wenig geteert, dort etwas ausgebessert, da mal ein Stück aufgehackt, um eine Leitung zu verlegen. Die Nepalesen denken sich sicher etwas dabei, allerdings ist für Außenstehende kein System erkennbar. Quasi über Nacht hat es unsere Siedlung erwischt. Als ich heute Morgen zu dem vereinbarten Treffen mit Suman fahren wollte, versperrte mir eine Bambusstange den Weg. In einigen Metern Entfernung ratterte eine Walze über die frisch geteerte Straße. Es hatten sich schon etliche Leute aus der Umgebung eingefunden, um dieses Schauspiel zu verfolgen.

In meiner Naivität und meinem grenzenlosen Optimismus fragte ich die Einheimischen nach einer Umleitung. Darauf erntete ich nur ein belustigtes Lachen. So etwas gibt es hier doch nicht! Mir wurden sehr gestenreich einige Vorschläge gemacht, wie ich die Baustelle am besten umfahren könnte. Da es hier natürlich keine Straßennamen gibt, muss man sich an auffälligen Gebäuden, Bäumen u.ä. orientieren. Der vereinbarte Treffpunkt mit Suman war keinen Kilometer Luftlinie entfernt. Ich brauchte für die Berg- und Talfahrt durch Feld und Flur eine halbe Stunde. Mit einem Motorrad hätte ich die Strecke sicher besser gemeistert. Mit meinem Scooter jedoch blieb ich oft in den kleinen Abflussrinnen, die den Weg kreuzten, stecken.

Ich hatte mir vorgenommen, nach dem Gespräch mit Suman mit mindestens drei unserer Patenkinder einkaufen zu gehen. Aber das war nicht möglich, denn die meisten von ihnen sind während der Ferien bei Verwandten in entfernten Dörfern. Und die wenigen, die noch vor Ort sind, waren irgendwo unterwegs. Einzig Jenisha habe ich daheim angetroffen. Sie lebt gemeinsam mit ihrer Oma, ihrer Tante sowie einigen Cousins und Cousinen in einem mehr als baufälligen Haus. Die Tante versucht, durch ihren Job die Familie durchzubringen. Für neue Kleidung bleibt da jedoch nichts mehr übrig. Jenishas Patin hat mir dafür extra Geld überwiesen, um mit dem Mädchen einzukaufen. Ihr ausdrücklicher Wunsch war es, Jenisha einen Teil des Geldes zur eigenen Verfügung zu überlassen, um sich einen besonderen Herzenswunsch zu erfüllen.

So konnte ich die junge Dame mit einer Shoppingtour überraschen. Der Schwarz-Weiß-Look scheint unter den Mädels hier der absolute Fashion-Renner zu sein. Ganz zielstrebig suchte sich Jenisha in den Geschäften die passenden Sachen aus. Sie kalkulierte wirklich ganz geschickt, so dass wir am Ende einen tollen Anorak (20,-€), eine Jeans (8,-€), ein Paar Turnschuhe (10,-€) und Socken (1,-€) in unseren Einkaufstüten hatten. Die restlichen 11,- Euro sollte sie einfach nach Herzenslust ausgeben. Ich fragte das Mädel noch, ob sie vielleicht lieber allein gehen möchte. Aber Jenisha sagte mir, dass sie in einem anderen Shop einen chicen Pullover gesehen habe, den sie sich gern für das Geld kaufen möchte. Sie hat doch eine gute Wahl getroffen, oder? Und die strahlenden Augen sind doch das schönste Accessoire zu den neuen Sachen!

Auf dem Rückweg musste ich natürlich auch wieder über die Buckelpiste zwischen den Feldern. Und ausgerechnet hier gab mein Scooter den Geist auf. Das hat mir gerade noch gefehlt, zumal ich ja extra wegen der sozialen Arbeit hier oben an den Hängen des Shivapuri geblieben bin. Die pralle Mittagssonne trug auch nicht gerade bei, meine Laune zu bessern. Die Dorfbewohner sind ja sehr hilfsbereit, so dass immer wieder mal einer zu mir kam, um einen Startversuch zu unternehmen, mal in den Tank zu schauen oder einfach nur am Kickstarter herumzufummeln. Es war jedoch kein Fachmann dabei!

Bis nach Kathmandu in die Werkstatt sind es knapp 20 Kilometer. Unmöglich, den Scooter bis dahin zu bringen. In meiner Verzweiflung rief ich Yugal, meinen Vermieter, an, dieser wiederum einen Kumpel, der eine kleine Werkstatt in der Nähe betreibt. Nach fachmännischer Inspektion stand schnell fest, dass eine größere Reparatur am Motor vorgenommen werden muss. Die Überführung in die Werkstatt war ganz großes Kino! Bergab lies ich mich rollen und bergauf fuhr einer mit dem Motorrad schräg hinter mir, stemmte sein Bein an das Heck meines Gefährts und schob mich damit an. Jetzt heißt es nur noch Daumendrücken, dass ich meinen Scooty bald gesund und munter aus der Werkstatt abholen kann.

Irgendwie werd ich jedoch das Gefühl nicht los, dass mir mein Scooter den ‚Seitensprung‘ mit der Bullet übelgenommen hat!

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