Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Die letzten Tage in Nepal waren mit Terminen dermaßen ausgefüllt, dass ich doch glatt so manches Mal das Essen vergessen habe. Da zahlt es sich mal wieder aus, wenn Frau ein paar Reserven hat. Es mussten mit den infrage kommenden Schulen Regelungen getroffen werden, wie die geplanten Schulpatenschaften realisiert werden können, die Profile der Kinder mussten mit den erforderlichen Daten gefüllt werden, Gespräche mit Eltern und Lehrern sowie im Kinderhaus standen auf dem Plan.
Nun ist es hierzulande nicht so wie in der westlichen Welt. Selbst wenn man einen Termin ausgemacht hat, heißt es noch lange nicht, dass dieser auch zustande kommt. Und eine rechtzeitige Info, wenn der Gesprächspartner den Termin nicht einhalten kann, ist die absolute Ausnahme. Das hat weder mit Böswilligkeit oder mangelnder Wertschätzung zu tun, die Menschen hier kennen es einfach nicht anders.
Auch wenn die Entfernungen auf der Karte eine kurze Wegstrecke vermuten lassen, so braucht man mitunter für 10 Kilometer gut und gerne anderthalb Stunden. Das liegt zum einen an den schlechten Straßenverhältnissen, zum anderen an dem chaotischen Verkehr selbst. Dies alles führt dazu, dass von effektiven Arbeiten absolut keine Rede sein kann. Umso mehr freue ich mich, dass ich meinen Plan dennoch geschafft habe.
Bei meinem Gespräch mit Kebi und Somjana, den Pflegeeltern des Kinderhauses, wurde deutlich, dass sie die Schulgebühren für den kommenden Monat wohl nicht aufbringen können. Sie hatten sich so über den kürzlich installierten Notstromkasten gefreut und waren von Herzen dankbar, dass sie sich nicht getraut hatten, dies anzusprechen. Also hab ich fix nochmal das zur Verfügung stehende Budget an Spenden durchgerechnet und konnte ihnen mitteilen, dass für jedes der 19 Kinder 10 Euro Schulgebühren für April übernommen werden können. Das hat den beiden wirklich eine große Last genommen.
So fuhren wir am nächsten Tag gemeinsam zu der Schule, um das Geld einzuzahlen. Die Direktorin, eine sehr warmherzige Frau, war sehr interessiert an meiner Arbeit und lud mich für das nächste Mal ein, sie zu Hause zu besuchen, um über eventuell neue Projekte zu sprechen.
Gleich darauf ging es zur Abschiedszeremonie in der Bal Bikas Schule. Ich hatte bereits zu Beginn meiner Reise mit dem Direktor vereinbart, dass von den Spendengeldern für 3 bedürftige Kinder ein Großteil der Schulgebühren übernommen werden können. Wenn man so viel Armut sieht, fällt es verdammt schwer, eine Auswahl zu treffen. Gemeinsam mit der Familie des Prinzipals haben wir uns nach langer Überlegung für Ranju, ein 14jähriges Mädchen, sowie für die Geschwister Puspa und Laxmi entschieden.
Ranjus Familie ist so arm, so dass sie eigentlich die Schule hätte verlassen müssen, weil sie das Geld dafür nicht mehr aufbringen können. Ranju ist eine wirklich gute Schülerin, die später sicher einen guten Job bekommen und so für ihre Familie sorgen kann.
Der 11jährige Puspa und die 3jährige Laxmi wissen nicht mal, wie es ist, in einem richtigen Haus zu leben. Sie wohnen mit ihren Eltern in einer kleinen Lehmhütte am Rand eines Feldes. Ihr Papa ist mit 65 Jahren bereits ein alter Mann, der zudem mit einer Erkrankung der Atemwege kämpft. Er hat gute Tage, wo er am normalen Leben teilnehmen kann, aber immer öfter auch Tage, an denen er apathisch im Bett liegt und sich nicht um seine kleine Tochter kümmern kann. Deshalb kann die Mutti keiner geregelten Arbeit nachgehen und hilft, wann immer sie die Möglichkeit dazu hat, den Bauern auf dem Feld. Oft weiß die Familie am Morgen nicht, wovon sie sich am Abend ernähren soll, so dass sie auf die Feldfrüchte angewiesen sind, die je nach Saison gerade wachsen.
Jetzt wird sich sicher der eine oder andere zu Recht fragen, ob es denn Sinn macht, für eine 3jährige eine Schulpatenschaft zu unterstützen. Dies habe ich sowohl bei Freunden als auch im Gespräch mit den Lehrern hinterfragt. Ja, es macht Sinn! Zum einen, weil die Mutti der beiden Kinder dann Zeit für einen richtigen Job hätte, wenn auch die kleine Laxmi tagsüber in Obhut ist. Zum anderen, weil der Vater der beiden Kinder sicher nicht mehr allzu lange leben wird. Wenn Laxmi in der Vorschule bereits gut lernen kann, kann sie durchaus auch mal eine Klasse überspringen, um so letztendlich schneller zu einem Abschluss zu gelangen und auf eigenen Füßen zu stehen.
Zu der Feierstunde, die zu diesem Anlass abgehalten wurde, waren neben einigen Schulklassen auch Phuntsok und Joshna anwesend, die im vergangenen Schuljahr durch eure Spenden unterstützt werden konnten. Auch der Vater von Puspa und Laxmi hatte sich auf den weiten Weg gemacht und für diesen so wichtigen Anlass seine traditionelle Newar-Tracht angezogen. Mir war es total unangenehm, wie dieser arme alte Mann sich mehrfach vor mir verbeugte, um mir seinen tiefen Dank auszusprechen. Eigentlich müsste ich mich vor ihm verneigen, wie er sein bescheidenes Leben ohne zu klagen meistert. In solchen Momenten kämpfe ich –oft vergeblich- gegen die Tränen an und fühle eine besondere Demut.
Unter dem lauten Beifall der Schüler konnte ich Ranju, Puspa und Laxmi die Zertifikate überreichen, mit denen ihr nächstes Schuljahr abgesichert ist. Dabei berührt mich jedes Mal von Neuem die ehrliche und vor allem neidlose Freude der anderen Kinder. Wenn in unserer reichen, aber kalten Welt ein Kind vor einem anderen dermaßen bevorzugt wird, so muss dieses oft mit Anfeindungen oder zumindest Missgunst rechnen. Hier wird sich untereinander von Herzen gratuliert und applaudiert. Von diesen Kindern können wir noch so viel lernen!
Auch diesmal gab es für mich zum Abschied Blütenketten und Katas, so dass ich am Ende wieder geschmückt wie eine Preiskuh vor der versammelten Mannschaft stand. Selbst im Treppenhaus fingen mich noch Kinder ab, um mir eine Segensschleife zum Abschied um den Hals zu legen.
Der Abschied von diesen lieben Menschen, die in der Zwischenzeit zu meinen Freunden geworden sind, fällt mir jedes Mal schwer. Aber ich weiß auch, dass man gehen muss, um wiederkommen zu können. Und auch diesmal tröstet mich die Gewissheit, dass ich Dank eurer Unterstützung für diese Kinder etwas erreichen und ihnen Hoffnung schenken konnte. Dafür danke ich euch aus tiefsten Herzen!