Lieber mit einem Säufer verheiratet zu sein, als gar keinen Mann zu haben – das klingt hart und nach westlichen Maßstäben absolut unverständlich. Hier in Nepal ist dies jedoch traurige Realität. Eine Frau, die mit einem Alkoholiker verheiratet ist, ist eine arme Frau. Eine geschiedene oder gar Single-Frau zählt hier überhaupt nichts.
Leider verfallen viele der nepalesischen Männer aus den unteren Kasten dem Alkohol. Der billige selbstgebraute Reisschnaps macht es ihnen leicht, ihre Probleme und leider auch ihre Verantwortung zu vergessen. Einer regelmäßigen Arbeit gehen deshalb die wenigsten von ihnen nach. Ein hartes Brot für die Ehefrauen. Diese müssen dann mit ihrem äußerst geringen Verdienst das Überleben der Familie sichern. Das funktioniert natürlich nur in den seltensten Fällen und vieles bleibt auf der Strecke. Als erstes wird natürlich am Schulgeld für die Kinder gespart.
Aus solch einer Familie stammt Raj, eines unserer Patenkinder. Er ist mit seinen 14 Jahren ein ganz taffer junger Mann, der gutes Potential in sich trägt. Als seine Mutter im letzten Jahr das Schulgeld nicht mehr aufbringen konnte, hätte Raj normalerweise die Schule abbrechen müssen. Deshalb war ich besonders froh, dass sich so schnell liebe Paten gefunden haben, die ihn unterstützen.
Den gestrigen Tag habe ich mit Raj verbracht. Auch diesmal musste Tashis Büro als Treffpunkt herhalten, da es logistisch einfach sinnvoller war, als Raj daheim abzuholen. Ohne Petrol und mit eingeschränktem öffentlichen Verkehr ist es eh jedes Mal eine Herausforderung, solch eine Tour zu bewerkstelligen. Mit dem Scooty geht es dann immer bis zur Hauptstraße und von dort mit verschiedenen Bussen nach Kathmandu. Und da natürlich alles zu Fuß. Ich muss dann auch immer zusehen, dass ich vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück in meinem Dorf bin, da die Wege im Finstern recht gefährlich sind.
Also hatte ich mich schon vormittags mit Raj verabredet. Ich kannte ihn bisher nur von Fotos und war überrascht, wie groß er ist. Auch für ihn hatte ich einen Brief von seinen Paten dabei, den er ganz überwältigt las. Es war vermutlich der erste Brief in seinem Leben, den er bekam. Er konnte erstmal gar nichts sagen. Tashi hatte bereits mit Rajs Mutti besprochen, was dringend gebraucht wird, so dass wir uns gleich auf den Weg nach Asan, dem größten Local-Markt, machen konnten.
Unterwegs taute Raj dann so richtig auf und erzählte mir, dass er gerade mitten in den Examen steckt. Er will später mal Ingenieur werden und strengt sich sehr an, damit er dieses Ziel mal erreichen kann. Ein kleiner Geschäftsmann ist er jetzt schon, denn er schlug vor, alle Kleidungsstücke nach Möglichkeit in ein und demselben Laden zu kaufen, damit wir auch noch einen Rabatt aushandeln können. Ich gab ihm das Budget vor und überließ ihm die Auswahl. Eine Jeans, ein T-Shirt und einen warmer Sweater hat sich Raj ausgesucht und tatsächlich einen guten Discount ausgehandelt. Nur die Schuhe mussten wir in einem anderen Shop kaufen. Hey, das ging ja richtig zügig!
Ich hatte auch noch einige Dinge für meine Küche auf meiner Einkaufsliste. Und auch hier erwies sich Raj durchaus als ein guter Einkaufsberater. Er verhandelte mit den Händlern und schlug einen guten Preis für mich raus. Und auf dem Gemüsemarkt erklärte er mir, welches Gemüse wie zubereitet wird. Es war zu merken, dass Raj vieles in seinem jungen Leben allein bewältigen muss und entsprechend clever ist. Ach, war das ein schöner Tag, für uns beide. Raj lud mich auch mehrmals zu sich nach Hause ein. Leider konnte ich die Einladung gestern nicht annehmen, aber sobald sich die Lage etwas entspannt hat, hole ich das auf jeden Fall nach.
Raj ist ganz stolz auf seine neuen Sachen und freut sich sehr darüber. Liebe Jana, lieber Steffen – ein ganz dickes Dankeschön von ganzem Herzen für eure großartige Unterstützung, auch im Namen von Raj und seiner Mutti!
… und das haben wir für Raj gekauft:
Winterschuhe 2300 Rs. / Sweater 2200 Rs. / Jeans 1500 Rs. / Shirt 600 Rs.
Macht alles zusammen – 6600 Rupien (ca. 60,-€)!
Die strahlenden Augen von Raj – unbezahlbar!!!!